Am 16.8. erschien folgender Kommentar in der Welt. Es ist bemerkenswert, dass selbst in einem so konservativen Blatt, sich die Einsicht breit macht, dass es keinen Sinn macht, noch mehr Autobahnen zu bauen. Der Autor fordert die Politiker auf, mit der Parole Erhalt vor Neubau ernst zu machen. Nachstehend einige Auszüge:

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Der Maut-Denkfehler

Die Pläne von Verkehrsminister Dobrindt sind nicht nur in sich verfehlt, sondern sie weisen auch grundsätzlich in die falsche Richtung: Die Bürger sollen für mehr Verkehrswege mehr zahlen. Diese Logik ist längst gescheitert Von Matthias Kamann


Im Sauerland steckten die Lokalzeitungen der frühen Siebzigerjahre voller Wunder. Bilder von atemberaubenden Brücken waren zu bestaunen ..... 50 Jahre später stellt sich heraus, dass 32 Talbrücken der A 45 zwischen Dortmund und Gießen abgerissen und komplett neu gebaut werden müssen. Kostenpunkt: 2,3 Milliarden Euro. Alle anderen Brücken bedürfen dringend einer so umfassenden wie teuren Sanierung.

So müssen die Deutschen anhand der Sauerlandlinie und vieler anderer maroder Autobahnen, Bundesstraßen und Eisenbahnstrecken lernen, wie kostspielig und tatsächlich kostbar eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist. Das ist ein Schatz, dessen Aufhäufung und zumal Pflege ungeheuren Aufwand erfordert – und der sich, wie bei Schätzen üblich, nicht einfach vermehren lässt. Deutschland kann sich auf absehbare Zeit keinen nennenswerten Zubau bei Straßen und Schienen mehr leisten. Schon was jetzt noch entsteht, von der Küstenautobahn bis zur ICE-Strecke Erfurt–Nürnberg, ist haushaltspolitisch kaum mehr zu verantworten. .......

Wenn somit der Abschied von dem Wunderglauben ansteht, das Land könne sich viele weitere große Verkehrsneubauten leisten – mit "Erhalt vor Neubau" hat die große Koalition jenem Abschied immerhin mal einen Namen gegeben –, dann muss auch der Abschied von der finanziellen Wundertüte vollzogen werden. Diese Wundertüte heißt "Steuern und Abgaben": Die Bürger sollen immer mehr Geld hineinstecken, und dann kommen auch immer mehr Brücken und Straßen und Hochgeschwindigkeitsstrecken heraus. Dabei ist es um die Wundertüte längst so schlecht bestellt, dass sie noch nicht mal genug für Reparaturen hergibt.

Völlig falsch aber wäre es, nun statt für Neubauten die Steuern und Abgaben für Sanierungen zu erhöhen. Denn die Bürger werden ohnehin schon genug belastet, und zudem würde dies in der Verkehrspolitik die Logik des "Immer mehr" fortsetzen. ....... Aus dieser Logik gilt es endlich auszusteigen. Denn die Folgekosten jedes Neubaus sind so hoch, dass an der finanziellen Belastungsspirale auch in Zukunft stets noch weiter gedreht werden müsste......

Mithin bedarf die Verkehrspolitik eines Paradigmenwechsels, der sich als doppeltes "Nicht mehr" definieren lässt. Nicht mehr belasten als bisher darf der Staat die Bürger und zumal die motorisierten Verkehrsteilnehmer. Und nicht mehr entstehen dürfen größere Neubauten, weil diese weitere Erhaltungskosten für die Zukunft produzieren und mit den bestehenden Mitteln nicht finanzierbar sind. Weitere Großprojekte wären nur möglich, wenn entsprechend bei Sozial-, Bildungs- oder Sicherheitsausgaben gespart würde, und da dies offensichtlich niemand will, werden die Bürger lernen müssen, dass es keine weiteren Autobahnen, Großumgehungen oder Hochgeschwindigkeitsstrecken geben kann. Denn das vorhandene Geld reicht nicht einmal aus, um das bestehende Netz instand zu halten. Gewiss, das sind unschöne Aussichten, aber das Land muss sie ins Auge fassen. Eine Maut, und erst recht die von der CSU favorisierte, würde den Blick darauf nur vernebeln.

 

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