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Verkehrspolitik Das Märchen von der maroden Infrastruktur
15.10.2013 · Deutschland hat eines der besten Straßennetze der Welt. Wenn Brücken bröckeln, liegt das nicht an fehlendem Geld. Sondern an falscher Politik.
Von Ralph Bollmann, BerlinIn diesen Tagen treffen sie sich wieder zu Sondierungsgesprächen im schick sanierten Palais der früheren Reichstagspräsidenten. Sie werden auf sechsspurigen Autobahnen aus ihren Wahlkreisen herangebraust sein, im runderneuerten Speisewagen des ICE gefrühstückt haben oder von einem großzügig dimensionierten Provinzflughafen aufgebrochen sein. In den Räumen mit hohen Stuckdecken und breiten Flügeltüren werden sich die Koalitions-Unterhändler trotzdem wieder alle einig sein: Dieses Land ist marode, seine Verkehrswege stehen kurz vor dem Zusammenbruch, es braucht ganz dringend mehr Geld für Straßenbauten und Schienenwege.
Schon seit Wochen geht das so. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am vorvergangenen Freitag die erste Sondierungsrunde mit der SPD eröffnete, zählte sie „Investitionen in Infrastruktur“ zu den zentralen Zukunftsaufgaben für Deutschland. Gewerkschaften und Industrieverbände reden davon, der Automobilclub ADAC sowieso. Führende Sozialdemokraten beteuern seit Wochen, Steuererhöhungen seien „kein Selbstzweck“. Im Umkehrschluss heißt das: Für so dringende Projekte wie die Sanierung maroder Brücken könnten sie doch nötig sein. Besonders drastisch drückte es der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) aus: „Ein Land, in dem Straßen und Brücken verrotten, wird selber verrotten.“
Öffentlichkeitsarbeit für höhere Verkehrsetats
In den nüchternen Zahlen findet sich dieses Katastrophenszenario nicht wieder. „Deutschland weist im europäischen Vergleich ein sehr dichtes Fernstraßennetz auf“, heißt es etwa in einem Bericht des Bundesinstituts für Raumordnung. „Aktuell können 94 Prozent der Bevölkerung innerhalb von 30 Minuten Pkw-Fahrzeit den nächsten Autobahnanschluss erreichen.“ Damit ist schon fast das Ziel erreicht, das der sozialdemokratische Verkehrsminister Georg Leber im Jahr 1966 ausgab: „Kein Deutscher soll mehr als 20 Kilometer von einer Autobahnauffahrt entfernt leben.“ Nur wesentlich dichter besiedelte Länder wie Belgien oder die Niederlande verfügen über ein engmaschigeres Netz.
Auch bei den Ausgaben zeigt sich die Bundesrepublik im internationalen Vergleich alles andere als sparsam. Immerhin 142 Euro pro Einwohner investierte die öffentliche Hand 2011 in den Ausbau und Erhalt von Straßen. Übertroffen wird dieser Wert vor allem von Ländern wie Norwegen oder Schweden, wo die Erschließung fast menschenleerer Landstriche die Kosten in die Höhe treibt, oder von der Schweiz, wo bekanntlich hohe Berge den Straßenbau verteuern. Und mit Bezug auf Spanien waren sich all jene, die heute nach „mehr Infrastruktur“ rufen, bis vor kurzem noch ganz einig: Dass das Land zu einseitig in Schnellbahnen, Autopisten und Provinzflughäfen investierte, trug zum Wirtschaftscrash erheblich bei.
Die womöglich teuerste Pressekonferenz aller Zeiten hielt der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) im Dezember vorigen Jahres unter der Leverkusener Rheinbrücke ab. Gerade hatte er das Bauwerk wegen akuten Sanierungsbedarfs für schwere Lastwagen sperren lassen, die Autobahn mit der symbolträchtigen Nummer 1 war unterbrochen. Damit war das Thema der maroden Brücken in der Welt, erfolgreicher hätte man die Öffentlichkeitsarbeit für höhere Verkehrsetats gar nicht betreiben können. Kaum jemand nahm zur Kenntnis, dass die Brücke nach einer provisorischen Instandsetzung drei Monate später wieder freigegeben wurde - und dass der schlechte Zustand der Brücken vor allem auch damit zusammenhängt, dass vorhandenes Geld in weniger dringliche Projekte fließt.
Verteilung nach Länderquoten
Kein Experte bezweifelt, dass es an der Instandhaltung des vorhandenen Straßennetzes hapert. Hier fehlen rund 2,5 Milliarden Euro im Jahr, schätzt der Verkehrsberater Frank M. Schmid. „Davon lassen sich aber 40 bis 50 Prozent allein durch Effizienzsteigerung einsparen“, sagt er. „Wir dürfen die Lücke nicht nur mit neuem Geld schließen. Wir müssen auch Strukturen verändern.“
Das wird schwierig, solange die Verkehrspolitiker von unklaren Zuständigkeiten profitieren. Nichts eignet sich dafür besser als das Brückenthema. Mit den Mängellisten bewaffnet, marschieren die zuständigen Ressortchefs von Bund und Ländern alljährlich in den Haushaltsausschuss ihres jeweiligen Parlaments. Das wirkt: Auf Bundesebene schaffte es Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) nun schon zum zweiten Mal in Folge, seinen Haushalt aufzustocken.
Ob die Verwaltung mit dem Geld dann wirklich Schlaglöcher flickt oder Brücken erneuert, können die Parlamente gar nicht überprüfen. Oft zweigen die Politiker das Geld lieber für Neubauten ab, mit denen sie im Wahlkreis punkten können. In der nächsten Haushaltsrunde leisten die unterbliebenen Reparaturen dann wieder gute Dienste: Unter Verweis auf den noch immer schlechten Zustand des Straßennetzes fordern die Minister abermals mehr Geld. Das Verfahren ist vollkommen legal. Die Ausgaben für Erhalt und Neubau sind gegenseitig „deckungsfähig“, wie es im Jargon der Haushälter heißt. Experten fordern schon lange, diese Regel abzuschaffen. Sie war ursprünglich für den Aufbau Ost gedacht, wo die Reparatur der Verkehrswege oft einem Neubau gleichkam.
Auch die deutsche Kleinstaaterei trägt dazu bei, dass auf dem Weg zu den Brücken viel Geld versickert. „Ein Hauptproblem ist, dass wir das Geld nach starren Länderquoten verteilen“, sagt der neue Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, bislang Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. „Wollen wir kurzfristig Brücken in Nordrhein-Westfalen sanieren, dann haben nach dem jetzigen System automatisch auch Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Anspruch auf zusätzliches Geld.“ Dabei ist längst klar, dass die Engpässe sehr ungleich verteilt sind.
Eine lange Liste zweifelhafter Projekte
In manchen Ballungsgebieten würden selbst die Grünen in neue Leitsysteme oder zusätzliche Fahrbahnen investieren. Neubauten wie die geplante Altmark-Autobahn durch den dünnbesiedelten Norden Sachsen-Anhalts lehnen sie hingegen ab. „Bevor wir den Bürgern mehr Geld aus der Tasche ziehen, müssen wir mit dem vorhandenen Geld sinnvoll umgehen“, sagt Hofreiter. „Davon sind wir bei den Verkehrswegen weit entfernt.“
Der kreative Umgang mit Verkehrsprojekten rief inzwischen auch den Europäischen Rechnungshof auf den Plan. In einem aktuellen Prüfbericht über Bauvorhaben in Deutschland, Polen, Spanien und Tschechien schneidet die Bundesrepublik nicht gut ab. Um Verkehrsprojekte durchzusetzen, so der Vorwurf, würden Kosten systematisch heruntergerechnet und Verkehrsprognosen viel zu hoch veranschlagt. So lagen die Ausgaben für den deutschen Abschnitt der Autobahn Dresden - Prag am Ende um 50 Prozent höher als zunächst vorausgesagt. Und auf einem Teilbereich der Ostseeautobahn im dünnbesiedelten Mecklenburg-Vorpommern fuhren nach der Eröffnung nur halb so viele Autos wie erhofft.
Gerade in strukturschwachen Regionen argumentieren lokale Politiker gern mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, den eine neue Autobahn angeblich bringt. Nachprüfen lässt sich das nur selten. Über den ökonomischen Nutzen der Projekte gebe es „so gut wie keine Informationen“, klagen die Rechnungsprüfer. Zudem sei es gerade in dünnbesiedelten Regionen oft kostengünstiger, bestehende Routen zu Schnellstraßen auszubauen - statt eine luxuriöse Autobahn völlig neu zu trassieren.
Die Liste zweifelhafter Projekte ist inzwischen ziemlich lang. In Halle an der Saale wurde für 30 Millionen Euro ein neuer Hafen ausgebaut. Als dort nach sechs Jahren Pause im Jahr 2011 endlich ein Schiff anlegte, berichtete die Lokalzeitung ausführlich darüber. Der umstrittene Tiefbahnhof in Stuttgart kostet nach jüngsten Prognosen bis zu 6,5 Milliarden Euro - eine Summe, die zwei bis drei Jahre lange für die Beseitigung der gröbsten Straßenschäden in ganz Deutschland ausreichen würde. Proteste rief das erstaunlicherweise in Stuttgart hervor, wo das Geld hinfließt - und nicht in anderen Regionen, wo die Mittel nun fehlen.
Viele Baustellen gleichzeitig
Auch jenseits der baden-württembergischen Landeshauptstadt lässt sich die große Zahl an Baustellen im Straßenbild nur schwer mit dem Bild vom allgemeinen Verfall zur Deckung bringen. Selten wurde so viel gebaut wie in den vergangenen Jahren. Das lag auch an dem Konjunkturprogramm der Jahre 2009 und 2010, mit dem die Bundesregierung auf den Wirtschaftseinbruch nach der Bankenkrise reagierte. Geld gab es allerdings nur für Projekte, die in den Investitionsplänen von Ländern und Kommunen nicht ohnehin schon vorgesehen waren. In der Praxis bedeutete das oft: Gefördert wurden vor allem solche Vorhaben, die zuvor aus gutem Grund gar nicht als vorrangig eingestuft waren.
Eine Bund-Länder-Kommission unter dem Vorsitz des früheren Bundesverkehrsministers Kurt Bodewig (SPD) hat erst vor zwei Wochen ein Konzept vorgelegt, wie der Investitionsstau bei der Instandhaltung aufgelöst werden kann. Öffentliches Aufsehen erregte nur die Idee, die Lkw-Maut auch auf Landstraßen auszudehnen. Dabei machen die Experten auch Vorschläge, wie sich Kosten einsparen lassen. Erstmals haben sich die Ländervertreter auf eine Abkehr vom strikten Regionalproporz eingelassen. Außerdem enthält das Gutachten Vorschläge für kostengünstigeres Bauen. Würden Bund und Länder langfristiger planen und die Projekte dann zügiger durchziehen, könnten sie demnach rund zehn Prozent der Kosten einsparen. Derzeit ist oft das Gegenteil der Fall: Die Verkehrspolitiker eröffnen viele Baustellen gleichzeitig, auf denen es entsprechend langsam vorangeht. Das treibt auch die Kosten.
In der Praxis ist die Entschlossenheit wenig ausgeprägt, die Ausgaben tatsächlich auf die Instandhaltung und auf den Ausbau weniger kritischer Punkte im deutschen Verkehrsnetz zu konzentrieren. Dazu sind die maroden Brücken politisch viel zu nützlich, und dazu ist der Anreiz noch immer viel zu groß, lieber den Wünschen aus den Regionen nachzugeben. Theoretisch betonte der amtierende Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) stets, Erhalt müsse vor Neubau gehen. Praktisch arbeitet er derzeit am neuen Verkehrswegeplan für die Jahre nach 2015. Schon im Frühjahr hatten die Bundesländer rund 1600 Projekte für Neu- und Ausbauten angemeldet.
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VW will die Autobahn, behaupten immer wieder die Befürworter der A 39. Dabei übersehen sie gern, dass Unternehmen oft einfach die wirtschaftlichste Lösung für ihre Transporte suchen und das ist keineswegs immer die Straße, wie der nachstehende Artikel einmal mehr zeigt:
Wolfsburger Nachrichten
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Frau Behrens, mit einem 40 Milliarden Euro schweren Fonds wollen die Verkehrsminister der Bundesländer die Sanierung des maroden Straßennetzes in Deutschland voranbringen. Woher soll das Geld denn kommen?
Daniela Behrens:
Eine konkrete Überlegung ist, die Lkw-Maut auszuweiten. Bisher fallen nur Lastwagen ab zwölf Tonnen unter die Maut. Künftig könnten bereits Lastwagen ab 7,5 Tonnen mautpflichtig werden. Außerdem könnten verstärkt Bundesstraßen mit einer Maut belegt werden. Das würde uns auch ermöglichen, den bestehenden Maut-Ausweichverkehr einzudämmen. Insgesamt wäre damit für die Finanzierung des Fonds viel gewonnen.
Was halten Sie von einer Pkw-Maut?
Eine Pkw-Maut lehnen wir ab. Sie würde zu einer zusätzlichen Belastung der Autofahrer führen.
Ist die private Finanzierung des Straßenbaus eine Alternative?
Es geht hier ja zunächst nicht um Neubau, sondern um die Bereitstellung zusätzlicher öffentlicher Mittel, um die Sanierung und Erhaltung des Verkehrsnetzes in Niedersachsen und Deutschland sicherzustellen. Diese Aufgabe ist in den vergangenen Jahrzehnten sträflich vernachlässigt worden. Der Fonds soll eine verlässliche Grundfinanzierung von Straße, Schiene und Wasserstraße über mehrere Legislaturperioden hinaus bieten.
Wo sehen Sie den dringlichsten Sanierungsbedarf auf Niedersachsens Straßen?
Der Bedarf ist enorm. Allein für die Unterhaltung und Sanierung von Landesstraßen schieben wir aus den vergangenen zehn Jahren ein Bugwelle von rund 200 Millionen Euro vor uns her. Wenn wir auf die Bundesfernstraßen schauen, ist der Bedarf nicht geringer. Das Teilstück der Autobahn A2 zwischen Wunstorf und Hannover-Ost ist zum Beispiel dringend sanierungsbedürftig. Für die Fahrbahnerneuerung müsste wohl ein dreistelliger Millionenbetrag kalkuliert werden. Im Norden ist die A29 zwischen Ahlhorn und Wilhelmshaven ebenfalls ein Sanierungsfall.
Wenn die bestehenden Straßen in einem so schlechten Zustand sind, sollten wir dann nicht lieber auf teure neue Autobahnen wie die A20 von Westerstede nach Drochtersen oder die A39 von Lüneburg nach Wolfsburg verzichten?
Für uns gilt in der Tat die Maxime „Erhalt geht vor Neubau“. Nichtsdestotrotz müssen wir auf veränderte Verkehrsströme reagieren. Die A20 ist ein Projekt von europaweiter Bedeutung und für die Hafenhinterlandanbindung entscheidend. Die A39 ist ebenfalls wichtig, aber hier haben wir auch eine Alternativplanung für den Bundesverkehrswegeplan angemeldet, nämlich den Ausbau der Bundesstraße 4.
Wäre der Ausbau von Bundesstraßen mit Zweipluseins-Fahrstreifen wie vor dem Wesertunnel in der Wesermarsch nicht ein Kompromiss?
Bei der A39 halten wir einen solchen Kompromiss für denkbar.
Was sagen Sie den Gegnern neuer Autobahnen?
Verkehrspolitik bedeutet mehr als nur neue Straßen. Wir setzen beispielsweise auf Erhaltung und Sanierung, wir setzen auch auf die Reaktivierung von Bahnstrecken, überhaupt setzen wir beim Güterverkehr auf eine bessere Nutzung von Schiene und Wasserstraße. Aber auch die radikalen Gegner von Autobahnen müssen wissen, dass wir auf einzelne Projekte nicht verzichten können.
Ihr Koalitionspartner in Hannover hält auch nichts von neuen Autobahnen…
Stimmt offenbar. Der Koalitionsvertrag bietet aber eine gute Basis für rot-grüne Verkehrspolitik. Wir haben uns darauf verständigt, die Planungen für die A20 und A39 fortzusetzen. Und das machen wir auch.